Das Bollwerk Deutschlands (1814-1866)
Nach dem Abzug der Franzosen am 4. Mai 1814 zogen die alliierten Truppen in Mainz ein. Aufgrund einer Vereinbarung verließ das V. Armeekorps schon einen Monat später Mainz und preußische und österreichische Truppen - mit jeweils 4500 Mann - rückten ein.
Auf dem Wiener Kongress im November 1814 wurde ersichtlich, dass ein Bund gegründet werden sollte, dessen Hauptaufgabe die Verteidigung der deutschen Länder sein sollte. Hier wurde bereits deutlich, dass Mainz als eine "Bundesfestung" in der gemeinsamen Verteidigungsstrategie eine große Rolle spielen sollte. Denn die deutschen Länder sahen nun die Festung Mainz als wichtigstes Bollwerk gegen das im Westen liegende Frankreich an.
Mit der Bundesakte am 8. Juni 1815 wurde der Deutsche Bund schließlich gegründet. Noch war Mainz aber keine Bundesfestung: Im Sommer 1816 kam Mainz an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt, das mit Preußen und Österreich einen Staatsvertrag schloss: von nun an sollte die Stadt Mainz im hessischen Besitz bleiben, die Festungsanlagen jedoch hauptsächlich von Preußen und Österreich verwaltet werden. Im Herbst 1820 beschloss die Deutsche Bundesversammlung die Mainzer Festung als Bundesfestung zu übernehmen. Nun wurden die Übergabepläne gemacht und der Zustand der Festungsanlagen ermittelt. Nach Abschluss dieser Prüfung war klar, dass die Wiederherstellung, Instandhaltung und notwendige Ausstattung der Festung Mainz sehr viel kosten würden. Das war es den deutschen Ländern aber auch wert - nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte. Die Festung Mainz wurde schließlich am 15. Dezember 1825 formell dem Deutschen Bund übergeben.
Preußen und Österreicher
Trotz Übergabe der Festung an den Deutschen Bund blieben die preußischen und österreichischen Truppen in Mainz stationiert - schließlich waren beide ja Bundesmitglieder. Organisatorisch wurde die Festung vom Gouvernement kontrolliert, das der Militärkommission unterstellt war. Diese wiederum war dem Militärausschuss des Bundestages verantwortlich. Gouverneur und Kommandant wurden in fünfjährlichem Rhythmus mal von Preußen, mal von Österreich gestellt. Dabei waren jede der beiden Parteien entweder durch den Kommandanten oder den Gouverneur vertreten. Außerdem wurden eine permanente Artilleriedirektion unter österreichischer Leitung und eine Geniedirektion unter dauernder preußischer Leitung eingerichtet. Letztere war für Instandhaltung und Neubau der Festungsanlagen zuständig.
Im Mainzer Alltag versuchten sich dagegen Preußen und Österreicher aus dem Weg zu gehen: um Streitereien zu vermeiden, mussten die preußischen Soldaten in Kneipen der südlichen Stadt, die österreichischen in Kneipen und Gasthäuser der nördlichen Stadthälfte gehen. Als "Grenze" fungierte dabei die Ludwigsstraße. Für Ordnung unter den Soldaten sorgte das Militär selbst. Der preußische Garnisonswachdienst hatte seine Hauptwache am Liebfrauenplatz hinter dem Dom (heute noch vorhanden), während die österreichische Wache am Flachsmarkt lag.
Die Mainzer und das Militär
Das Festungsgouvernement hatte auch in der Friedenszeit auf viele Vorgänge und Institutionen der Stadt Mainz Einfluss. So wurden unter anderem die Polizei und die Feuerwehr unter die Kontrolle des Festungsgouvernements gestellt. Auch wurde eine "Sicherheitspolizei" eingerichtet, die etwaige Sabotage oder Spionage abwehren sollte.
Zum Unglück der Mainzer Bevölkerung gab es darüber hinaus in Mainz derart wenig Kasernen, dass Teile der Truppen in den Häusern der Bürger einquartiert wurden. Dabei mussten die unfreiwilligen Gastgeber den Soldaten sogar ihre Mahlzeit, die sie von den Militärmagazinen bezogen, zubereiten. Eine Entschädigung oder Miete dafür gab es nicht.
In Friedenszeiten waren rund 7000 Soldaten in der Stadt stationiert. Im Kriegsfall sollten es mit etwa 20.000 Mann mehr als doppelt so viele sein. Das Festungsgouvernement hatte im Kriegsfall oder auch nur beim Drohen eines Krieges uneingeschränkte Gewalt über die Stadt und deren Bewohner.
In einen solchen Kriegszustand wurde die Bundesfestung Mainz erstmals 1830 wegen der Pariser Julirevolution vorübergehend versetzt. Dabei wurde die Garnison von 7000 auf 14.000 Soldaten verdoppelt. Ein Zustand der vor allem bei der Mainzer Zivilbevölkerung auf Unmut stieß, weil damit einhergehend weitere 4000 Soldaten in Privatquartieren untergebracht wurden. Außerdem wurde damit begonnen die Festung zu "armieren", also die Festungsanlagen verteidigungsfähig zu machen. Konkret hieß das, die Kriegspulvermagazine zu befüllen, das Vorfeld (Glacis) kahl zu schlagen und die Festungswerke mit Palisaden und anderen Hindernissen zu versehen.
Ausbau der Festungsanlagen
Dadurch, dass die Festung Mainz dem Deutschen Bund unterstellt wurde, floss nun erstmals ausreichend Geld zur Instandhaltung, Modernisierung und Ausbau der Festungsanlagen. Der Festungsausbau vollzog sich zwischen 1814-1866 in drei Befestigungsphasen: die erste dauerte von 1826-32, die zweite von 1841-48 und die dritte Phase von 1860-66.
In der ersten Befestigungsphase wurden die dringlichsten Neubauprojekte begonnen: unter anderem wurde im Süden der Stadt das Fort Weisenau angelegt (auf dem Gelände der 1793 untergegangenen Favorite). Auf dem rechten Rheinufer wurden Festungswerke ausgebaut - vor allem das Fort Großherzog (ehemals Montebello) - sowie eine Reduitkaserne in Kastel errichtet. Der im Nordwesten des Gartenfeldes gelegene Hartenberg wurde mit den zwei Forts Hartenberg und Hartmühle befestigt. Darüber hinaus wurden die bereits bestehenden Festungswerke und Militärgebäude saniert. Diese Bauarbeiten waren allesamt um 1834 abgeschlossen.
In der zweiten Befestigungsphase (1841-48) wurden die Forts Hechtsheim, Zahlbach und Marienborn errichtet, die ehemalige Klubistenschanze wurde in das heute noch vorhandene Fort Stahlberg umgebaut. Mit dem Bau der Türme Bretzenheim, Kirchof und Peters-Aue wurden neue Befestigungsarten umgesetzt. Mit der "Rheinkehlbefestigung" wurde zum ersten Mal seit dem Mittelalter das Rheinufer wieder in den Blick genommen. In den Jahren 1841-53 entstand unter anderem das "alte" Fort Malakoff.
Die dritte und letzte Befestigungsphase (1860-66) der Bundesfestung Mainz war durch den Krimkrieg (1853-56) und die Einführung gezogener Geschütze bestimmt. Diese waffentechnische Neuentwicklung ließ auf einen Schlag alle erst vor einigen Jahren errichteten Festungswerke veralten. Neben den notwendigen, zahlreichen Nachbesserungsmaßnahmen, wurden aber auch zwei neue Forts gebaut: das Fort Bingen und das Fort Gonsenheim. Sie sollten die größere Reichweite der neuen Geschütze ausgleichen. Aufgrund der Erfahrungen, die das deutsche Militär bei der Beobachtung des Krimkrieges gewonnen hatte, wurden zudem mehrere Kasernen und Magazine errichtet - so z.B. das Proviantmagazin und die Citadellkaserne. Der Neubau von Kasernen kam natürlich auch der Mainzer Bevölkerung zu Gute, da nun immer weniger Soldaten bei den Bürgern einquartiert werden mussten.
Konflikte in den revolutionären Jahren
Zu Konflikten zwischen der Mainzer Bevölkerung und den stationierten Soldaten kam es in den revolutionären Jahren zwischen 1832 und 1848. Besonders im Frühjahr des Jahres 1848 häuften sich die Zusammenstöße zwischen Soldaten und Zivilisten. Dabei kam es am 21. Mai zu einem Zusammenstoß zwischen Bürgern und Soldaten vor dem Theater: vier tote und mehrere Dutzend verletzte Soldaten waren das Resultat dieser Auseinandersetzung, die dadurch beendet wurde, dass der Vizegouverneur unter Verhängung des Belagerungszustandes auf dem Kästrich Kanonen aufstellen und auf die Stadt richten ließ.
Als im Mai 1848 die Unruhen in Baden und in der Pfalz erneut aufflammten, trafen die Mainzer Festungsbehörden Vorsorgemaßnahmen. Dazu gehörte die Durchsuchung von Schiffen und Bahnzügen nach Waffen, Munition oder flüchtigen Soldaten. Außerdem wurde das Tragen, Sammeln und Anfertigen von Waffen verboten. Im Oktober 1849 kehrte schließlich wieder Ruhe ein. Insgesamt gesehen aber blieb es während der Revolution 1848/49 weitgehend ruhig. Heute geht man davon aus, dass das bloße Vorhandensein einer solch großen Festung und Garnison in Mainz die Revolution in der Region relativ ruhig verliefen ließ.
Wohin mit dem Pulver?
Am Nachmittag des 18. November 1857 erschütterte eine große Detonation die Stadt und Festung Mainz: das Pulvermagazin auf der Bastion Martin war explodiert und hatte schwere Schäden im umliegenden Wohnviertel angerichtet. Bei der Explosion flogen Trümmer bis an den Ballplatz in der Altstadt, was einer Entfernung von etwa 500m entspricht. Im Magazin, das 60 Tonnen fassen konnten, lagerten zum Zeitpunkt der Explosion 10 Tonnen Pulver. Bei der Explosion starben über 120 Soldaten und Zivilisten, mehrere hundert wurden verletzt. Die Wohnhäuser im nahen Umfeld (am Kästrich und an der Gaugasse) wurden komplett zerstört. Der äußere, mittelalterliche Gauturm, der neben dem Pulvermagazin in der Bastion Martin stand, existierte nicht mehr. Die ebenfalls nahe gelegene Kirche St. Stephan trug ebenfalls schwere Schäden davon. Im Bericht der Militär-Kommission des Deutschen Bundes hieß es dazu: "Das ganze Äußere der Kirche hat an Mauern, Strebepfeilern und Ornamentik zahllose Beschädigungen erlitten, die Schieferbedachung der Kirche ist fast gänzlich zerstört und der Dachstuhl vielfach und stark beschädigt. Die Fenster der Kirche sind sämtlich zertrümmert [...]". Weitere kleinere Schäden gab es an Gebäuden in der ganzen Stadt und natürlich auch an den Festungswerken. Grund für die Explosion war anscheinend Sabotage - das jedenfalls stellten die amtlichen Untersuchungen fest.
Über die Katastrophe wurde selbst in der internationalen Presse berichtet: die "Illustrated London News" brachte am 5. Dezember einen ganzseitigen, reich bebilderten Bericht. Die umfassende Berichterstattung in der Presse trug sicherlich auch zu einer großen Welle der Hilfsbereitschaft bei: aus ganz Deutschland wurde gespendet. In der Folge zahlte der Deutsche Bund auch Schadenersatz an die betroffenen Bürger.
Die Explosion des Pulvermagazins auf der Bastion Martin zeigte wie problematisch die Pulverlagerung in der Bundesfestung Mainz war. Normalerweise sollte das Pulver in Friedenszeit in "Friedenspulvermagazinen" weit vor der Stadt lagern. Erst im Ernstfall sollten die "Kriegspulvermagazine" im Innern der Festung bestückt werden. Tatsächlich lagerten aber 1857 rund 300 Tonnen Pulver im inneren Festungsbereich. Grund dafür war, dass noch nicht genügend Friedenspulvermagazine vorhanden waren und den Festungsbehörden im Kriegsfall der Rücktransport zu langsam ging. Nach der Katastrophe von 1857 wurden jedoch die Anstrengungen erhöht und in der Folgezeit entstanden mehrere Friedenspulvermagazine in den äußeren Festungswerken. Zusätzlich wurden noch bestehende Blockhäuser und Kasematten für die Pulverlagerung zweckentfremdet. Im Bereich der inneren Festungswerke entstanden in den folgenden Jahren nur noch Kriegspulvermagazine.
Das Ende der Bundesfestung
In Folge des Konflikts zwischen Preußen und Österreich um Schleswig-Holstein brach im Frühjahr 1866 die alte Frage nach der Vormachtsstellung in Deutschland wieder auf. Sie eskalierte im Deutsch-Deutschen Krieg: Preußen und Österreich zogen gegeneinander in den Krieg. Um die Situation in der Festung Mainz zu entschärfen verließ die preußische und österreichische Garnison Mainz. Sie wurde durch bayrische und andere Truppen ersetzt. Trotz kleinerer Konflikte und die Verhängung des Kriegszustandes durch den bayrischen Gouverneur, blieb es in und um die Festung Mainz weitgehend ruhig. Nur einmal feuerten Festungsgeschütze von der Peters-Aue auf rechtsrheinisch verkehrende Güterzüge.
Nach dem schnellen Sieg bei Königgrätz wurde auch rasch ein Waffenstillstand geschlossen. Am 24. August fand in Augsburg die letzte Sitzung des Bundestages statt. Damit hatte nicht nur der Deutsche Bund aufgehört zu existieren, sondern auch die Bundesfestung Mainz. Zwei Tage später zogen preußische Truppen in die Stadt und nahmen die Festung wieder in ihren Besitz. [Weiter zum nächsten Kapitel]
Benutzte Literatur
Köhler, Manfred: Ein Bollwerk gegen die Republik. Die Festung Mainz und die demokratische Bewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1815-1857) In: Mainzer Geschichtsblätter, Heft 7 (1992), S. 38-76.
Neumann, Hans-Rudolf: Die Bundesfestung Mainz 1814-1866. Entwicklung und Wandlungen. Von der Blockhausfortifikation zum Steinernen Bollwerk Teutschlands. (= Ing.-Diss. TU Berlin); Berlin / Mainz / Gensingen 1986.
Weiterfuehrende Hinweise
Zahlreiche Bauten der Bundesfestung Mainz haben sich im Mainzer Stadtbild erhalten: z.B. das Proviantmagazin, die Reduitkaserne, die preußische Hauptwache und Teile des Fort Weisenaus.
Literaturhinweis
Neumann, Hans-Rudolf: Die Bundesfestung Mainz 1814-1866. Entwicklung und Wandlungen. Von der Blockhausfortifikation zum Steinernen Bollwerk Teutschlands. (= Ing.-Diss. TU Berlin); Berlin / Mainz / Gensingen 1986.
[Weitere Literatur]
Weblinks
Die Mainzer Frage 1814-16
Wie Mainz zu Hessen-Darmstadt kam. Aufsatz von Constanze Martin im RegioNet Rheinhessen.
Deutscher Bund
Der Deutsche Bund war eine lose Konföderation der deutschen Staaten, die am 8. Juni 1815 auf dem Wiener Kongress gegründet wurde.