Mayence - un boulevard de la France

Die Festung Mainz in der Franzosenzeit 1792-1814
von Franz Dumont

Die Beschießung von Mainz auf einem zeitgenössischen Kupferstich [StA Mainz BPS]

Nachdem der Versuch Preußens und Österreichs, die Französische Revolution durch eine militärische Invasion zu stoppen, bei Valmy gescheitert war (20.9.1792), stießen Franzosen unter General Custine von Landau auf Mainz vor: Am 19.10.1792 hatten sie die Stadt umringt, und bereits am 21.10. kapitulierte die völlig unzureichend besetzte Festung.

Damit beginnt die "Mainzer Republik", der erste Versuch, die Revolution nach Deutschland zu verpflanzen. Ebenso wichtig war den Franzosen jedoch der militärische Erfolg, denn Mainz war die größte deutsche Festung und idealer Ausgangspunkt für Feldzüge rechts des Rhein, der "Schlüssel des Reiches". Deshalb ließ Custine sogleich den rechtsrheinischen Brückenkopf Kastel befestigen, wodurch die Festung erstmals auf das andere Ufer ausgriff; auch war sie jetzt erstmals ausreichend besetzt. Das bekamen dann auch die Deutschen zu spüren, die Mainz im April 1793 einschlossen und bis Ende Juli belagerten. Dabei standen den 23 000 Franzosen zunächst 32 000, schließlich 44 000 Preußen, Österreicher, Sachsen, Bayern und Hessen gegenüber. Die Belagerung, vor allem aber die Beschießung der Stadt (Juni/Juli 1793) zog viele Neugierige an - wie zum Beispiel Goethe - und wurde zum Medienereignis; in Frankreich bildete sich sogar ein Mythos um den "Sige de Mayence". Bei der Beschießung der Stadt durch die deutschen Truppen wurde auch der kurfürstliche Lustgarten "Favorite" zerstört. Am 22./23.7.1793 kapitulierten die Franzosen, sprachen aber beim Abzug davon, bald wiederzukommen.

Gut ein Jahr später war es soweit: Seit Sommer 1794 war Frankreich militärisch wieder in der Offensive und konnte bald das gesamte linke Rheinufer besetzen - mit Ausnahme von Mainz; die für das ganze Deutsche Reich wichtige Festung wurde - nun mit ausreichender Garnison - von Österreichern unter General Clerfait gehalten. Schon jetzt war Mainz keine Residenz mehr, sondern nur noch eine "große Kaserne", von Frankreich bedroht. Seit Herbst 1794 errichteten die Franzosen in weitem Bogen um die Stadt links und rechts des Rheins eine riesige Gegenfestung aus Erdwällen und Unterständen, die sog. "Mainzer Linien". Ihre monatelange Blockade durchbrach Clerfait mit mehreren Überraschungs- und Scheinangriffen am 29. 10. 1795, und die französische Armee de Mayence floh panikartig nach Westen.

Französischer Vorposten am Rhein

Abzug der österreichische Besatzung aus Mainz (vorne) und Einzug der französischen Soldaten (hinten rechts) am 30. Dezember 1797. Zeitgenössischer Kupferstich.

Sieht man von einer erneuten Einschließung im Sommer 1796 ab, so hatte Mainz nun für zwei Jahre Ruhe, dann ging es - wieder kampflos - an Frankreich über, diesmal aufgrund des Friedens von Campo Formio zwischen Österreich und der Republik (17.10.1797). Denn ein Geheimartikel bestimmte, dass Stadt und Festung Mainz den Franzosen übergeben würden, die dann am 29./30.12.1797 hier einzogen - und für mehr als 16 Jahre blieben. Mayence wurde jetzt nicht nur Hauptstadt eines französischen Departements Donnersberg (benannt nach dem gleichnamigen Berg), sondern bald auch zur wichtigsten Festung am Rhein, der "natürlichen" neuen Ostgrenze Frankreichs.

Das war bisher Straßburg gewesen, und in Paris diskutierte man zunächst, ob man Mainz wegen seiner günstigen Lage nicht zu einem Handelszentrum ausbauen und die Festung schleifen sollte. Doch die militärische Option setzte sich durch, auch, weil der Krieg andauerte und die Deutschen nun Interesse an einer Wiedereroberung hatten. So blieb Mainz Festung und war sogar 1799-1801 in den Belagerungszustand versetzt, d.h., das Militär hatte hier letztlich das Sagen. Das änderte sich erst nach dem Frieden von Lunéville (9.2.1801), in dem das Deutsche Reich den Rhein als Ostgrenze Frankreichs anerkannte. Wieder wurde die Schleifung erwogen, doch inzwischen hatte in Paris ein General, Napoleon Bonaparte, die Macht übernommen. Der war natürlich an sicheren Grenzen interessiert, aber auch an Plätzen, von denen aus er militärisch in Deutschland eingreifen konnte. So gewann Mainz erneut militärische Bedeutung, jetzt jedoch nicht mehr als Defensiv-, sondern als Offensivfestung bzw. als günstiger Sammelplatz für Invasionsarmeen.

Mainz unter Napoleon: "Grand boulevard de la France"

Plan der Stadt und Festung Mainz um 1806. Unten rechts ist die nicht durchgeführte Änderung des Flusslaufs des Mains zu erkennen. [StA Mz BPS I J. 10]

Bei seinem 1. Besuch in Mainz (20.9.-1.10.1804) verfügte Napoleon - nunmehr Kaiser der Franzosen - die Verstärkung mehrerer Festungsanlagen (Hauptstein, Fort Karl und die Verschanzung bei Weisenau) und die Räumung zahlreicher Gebäude (meist ehemalige Adelshöfe und Klöster) für das Militär. Mainz hatte als "bonne place de Guerre" (ein guter Kriegsplatz) für den "Empereur" vor allem militärischen Wert, was sich auch bei den anderen acht Besuchen Napoleons zeigte. War Mainz 1792/97 ein deutsches Bollwerk gegen Frankreich gewesen, so sollte es jetzt "umgedreht" werden und ein "Boulevard de la France" sein. Deshalb betrieb Napoleon auch die Rückgliederung von Kastel und Kostheim, die 1803 an Nassau gekommen waren; noch bevor der Besitzwechsel Anfang 1806 vollzogen wurde, begann Ende 1805 der (erneute) Ausbau der Befestigungen um diese beiden rechtsrheinischen Orte (Kastel, Forts Mars und Montebello sowie Befestigungen auf der Petersaue). Ja, es gab sogar Pläne, den Main östlich um Kastel herumzuleiten, um den Brückenkopf besser vor deutschen Angriffen zu schützen. Dies blieb jedoch ebenso ein bloßes Projekt wie die feste Rheinbrücke nach Kastel. In Napoleons Feldzügen von 1805 (gegen Österreich und Russland), 1806 (gegen Preußen) und 1809 (wieder gegen Österreich) war Mainz der wichtigste französische Sammelplatz. Zugleich erschwerte die nun auch rechtsrheinisch ausgebaute Festung jeden Angriff auf Frankreich. In der Stadt wurde die in Friedenszeiten durchweg 10.000-12.000, manchmal sogar 16.000 Mann starke Garnison (bei rund 24.000 Einwohnern) sowie das hier ansässige Hauptquartier für die Rheindepartments zu bestimmenden Faktoren: Aus der früheren Residenz- und Bischofsstadt wurde jetzt eine reine "Militärstadt" (Bockenheimer).

"Le Typhus de Mayence"

Am Fleckfieber erkrankte französische Soldaten in Mainz um 1814

Dieser Wandel führte dann am Ende der napoleonischen Zeit zu einem Desaster: Denn als die (von hier ausgezogene, ca. 100 000 Mann starke) "Grande Armee" Napoleons nach ihrer Niederlage bei Leipzig (16.-18.10.1813) durch Mainz in die Heimat zurückflutete, war sie bereits mit Fleckfieber infiziert. Da hier ihre erste Rast auf französischem Boden war, breitete sich diese Seuche rasch aus und forderte insgesamt ca. 20 000 Menschenleben: 17 -18 000 Soldaten und 2500 Zivilisten, ein Zehntel der Einwohner von Mainz. Als dieser "Typhus de Mayence" seinen Höhepunkt ereichte, wurde die Stadt drei Tage nach Blüchers Rheinübergang bei Kaub (Neujahrsnacht 1814) von ca. 30 000 Russen eingeschlossen, denen im Februar 9000 Deutsche als Belagerungsarmee folgten. Über drei Monate harrte die ca. 27 000 Mann starke französische Garnison unter General Morand hier noch aus, bis sie - nach dem Fall von Paris - am 4.5.1814 aus Mainz abzogen. Tags darauf marschierten die Deutschen ein, doch es dauerte noch über zwei Jahre, bis die politisch-rechtlichen Verhältnisse von Stadt und Festung Mainz geklärt waren. Vor allem die 16jährige "Franzosenzeit" von 1798 bis 1814 hatte zu einer "Militarisierung" von Mainz geführt, die dann im ganzen 19. Jahrhundert anhielt, als die Festungsfunktion die Bedeutung und die Gestalt der Stadt prägte. Für Frankreich war Mainz eine der wichtigsten Grenz- und Offensivfestungen geworden, und bis heute ist die Stadt für viele Franzosen eine "Forteresse française", eine französische Festung geblieben. [Weiter zum nächsten Kapitel]

Benutzte Literatur

Bockenheimer, Karl Georg: Geschichte der Stadt Mainz während der zweiten französischen Herrschaft (1798-1814). Mainz, 2. Aufl. 1891.
Dumont, Franz: Mayence. Das französische Mainz. In: Dumont, Franz; Scherf, Ferdinand; Schütz, Friedrich (Hg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 1998.S. 319-374.
Falck, Ludwig: Die Festung Mainz. Das Bollwerk Deutschlands - "Le boulevard de la France". Eltville 1991.
Lautzas, Peter: Die Festung Mainz im Zeitalter des Ancien Regime, der Französischen Revolution und des Empire (1736-1814). Wiesbaden 1973 (Geschichtliche Landeskunde 8).

Empfohlene Zitierweise

Dumont, Franz: Mayence - un boulevard de la France. In: festung-mainz.de [27.03.2005], URL: <http://www.festung-mainz.net/geschichte/mayence.html>
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Literaturhinweis

Dumont, Franz: Mayence. Das französische Mainz. In: Dumont, Franz; Scherf, Ferdinand; Schütz, Friedrich (Hg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 1998, S. 319-374.

Weblink

www.mainzer-republik.de
Darstellung, Biographien und Literaturliste zur Geschcihte der Mainzer Republik von 1792/93 (Dr. Franz Dumont)