Die Belagerung der Festung Mainz 1793

von Heiner Stauder

Mayence wird von deutschen Truppen eingeschlossen

Die Beschießung von Mainz von den Hochheimern Höhen aus. Zeitgenössicher Kufperstich.

Für die Geschichte der Mainzer Republik waren militärische Ereignisse von ausschlaggebender Bedeutung. Dies trifft sowohl für ihre Anfänge wie auch für ihr Ende zu. Letzteres wurde Mitte März 1793 mit einer deutschen Offensive eingeleitet. Rasch wurden die französischen Truppen in Richtung Elsaß abgedrängt. Am Mittelrhein blieb nur Mainz mit dem rechtsrheinischen Brückenkopf Kastel in ihrer Hand. Im Gegensatz zum Herbst des Vorjahres, als Custine die Stadt eingenommen hatte, befanden sich die Befestigungswerke in gutem Zustand, die Magazine waren gefüllt, und mit ca. 23 000 Mann standen ausreichend Soldaten für die Verteidigung zur Verfügung.Die Armee der Angreifer bestand zunächst aus über 32000, im Juli schließlich aus über 44000 Soldaten. Es handelte sich um preußische, österreichische, sächsische, hessische sowie pfalzbayrische Kontingente unter dem Oberbefehl des preußischen Generals von Kalckreuth. Seine Truppen hatten Mitte April den Belagerungsring um Mainz geschlossen. Er erstreckte sich rechtsrheinisch von Biebrich über Erbenheim und Hochheim nach Ginsheim, linksrheinisch von Laubenheim über Hechtsheim, Marienborn und Finthen nach Mombach. Drei Schiffsbrücken verbanden die einzelnen Teile der Belagerungsarmee, die zunächst nicht über genügend Artillerie und Mannschaften zum Angriff verfügte. Es kam daher anfangs nur zu Kämpfen zwischen den Fronten.

Kampf zwischen den Vororten

Plan der Belagerung von Mainz 1793. Schematisch eingezeichnet sind die deutschen Truppen.

Darunter litten vor allem die (heutigen) Vororte Kostheim, Weisenau und Bretzenheim. Während das an der strategisch so wichtigen Mainmündung gelegene Kostheim mehrfach den Besitzer wechselte und dabei völlig niedergebrannt wurde, kam es in Weisenau zu erbitterten Straßenkämpfen zwischen Österreichern und Franzosen. Bretzenheim lag mitten zwischen den Fronten; mal setzten sich die Belagerer, mal die Belagerten hier fest, requirierten Vieh oder steckten den Kirchturm in Brand. Heftige Kämpfe gab es auch bei Zahlbach; oberhalb des Dorfes hatten Mainzer Jakobiner eine neue, vorgeschobene Erdbefestigung, die "Klubistenschanze" (später Fort Stahlberg) angelegt, die Preußen und Österreicher immer wieder vergeblich zu erobern suchten. Unter den französischen Ausfällen, an denen auch einheimische Jakobiner mitwirkten, ist der gescheiterte Überfall auf das preußische Hauptquartier in Marienborn Ende Mai am bekanntesten, vor allem durch die Schilderung Goethes, der im Gefolge Herzog Karl Augusts von Sachsen-Weimar an der Belagerung von Mainz teilgenommen hat.

Ähnlich bekannt ist auch das berühmte "Französische Frühstück": Am 17. Mai trafen sich Vertreter beider Seiten zwischen den Fronten und bewirteten einander. Offenkundig war dabei die Absicht der Belagerten, ihre gute Versorgungslage zu demonstrieren. Darüber hinaus zeugen diese und andere Begegnungen der Feinde von ihrem gegenseitigen persönlichem Respekt, der trotz der Härte des Kampfes und der ideologischen Gegensätze erhalten blieb. Letztere kamen in den Wortgefechten zum Vorschein, die sich die einfachen Soldaten beider Seiten während der Kampfpausen lieferten.

Die Bombardierung von Mainz als Medienereignis

Der Brand des Mainzer Domes 1793. Ölgemälde von Georg Schneider.

Nachdem die Deutschen die notwendigen Verstärkungen und Geschütze erhalten und sich die verantwortlichen Militärs auf die Vorgehensweise geeinigt hatten, begann am 18. Juni von den Hechtsheimer Höhen aus die Beschießung von Mainz. Gemäß den Regeln Vaubans, der den modernen Festungskrieg entwickelte hatte, legten die Belagerung ein System von Gräben an, mit deren Hilfe sie ihre zuletzt 207 Kanonen näher an die Stadt heranführen konnten. Die Belagerung und Bombardierung von Mainz war ein europäisches Medienereignis, das seinen Niederschlag in zahlreichen Plänen und Ansichten gefunden hat. Eine große Zahl Schaulustiger reiste an, um das "Kriegstheater" zu beobachten.

Während sie aus weitgehend sicherer Entfernung zusahen, wie u.a. die Osttürme des Domes, die Liebfrauen- und die Jesuitenkirche, die Domdechanei, die Favorite, mehrere Palais und zahlreiche Häuser in Flammen aufgingen - die eigentliche Festung wurde kaum beschädigt -, mussten die Mainzer Bürger um Leib und Leben, um Hab und Gut fürchten. In der Tat waren in ihren Reihen einige Opfer zu beklagen, doch betrug die Zahl der durch Beschießung umgekommenen Bürger nicht mehrere Tausend, wie ab und an in der Literatur zu lesen ist. Sie war wesentlich geringer und dürfte kaum über zwanzig betragen haben. Gründe dafür waren vor allem die Öffnung der Kasematten für die Zivilbevölkerung, die dort Schutz suchen konnten, das Auslegen der Straßen mit Mist, was das Explodieren vieler "Bomben" verhinderte und schließlich die Tatsache, das der Zeitpunkt der Beschießung meist abzusehen war. Erst nach dem Ende der Belagerung kam es infolge einer Ruhrepidemie zu einem stärkeren Anstieg der Sterblichkeit unter den Mainzern.

Der innere Feind

Französischer Nationalgardist um 1793

Wenn die Stadt während der Belagerung eine größere Zahl an Einwohnern verloren hat, so ist dies auf die Massenausweisungen zurückzuführen, die mit dem Beginn der Einschließung am 30. März einsetzten. Wohl etwa zweitausend Eidverweigerer, darunter Geistliche, Beamte und nicht zuletzt fast die gesamte Judenschaft, mussten die Stadt verlassen. Der Rheinisch-Deutsche Nationalkonvent hatte entsprechende Dekrete erlassen, um die Revolutionsgegner aus der Stadt entfernen zu können. Bei ihrer Umsetzung kam es am 9. April zu einem Zwischenfall. An diesem Tag hatte der Präsident der Allgemeinen Administration, Hoffmann, die "Exportation" aller noch ungeschworenen Bürger und ihrer Familien sowie der Angehörigen aller bisher ausgewiesenen Mainzer angeordnet.
Als daraufhin zwei- bis dreitausend Personen an der Rheinbrücke zusammenkamen, verwies sie der französische Posten an das Gauttor. dort angekommen, teilte Ihnen der Munizipal Nickhl mit, dass auch hier kein Durchlass sei und überhaupt keine "Exportation" stattfände. Daraufhin kam es zu einem Tumult: Nickhl wurde verletzt und einige Mainzer festgenommen. Diesen verzweifelten Wutausbruch einer größeren Menschenmenge bagatellisierte die Mainzer Nationalzeitung als wetterabhängige Laune weniger.

Die in dieser Einschätzung und in den Massenausweisungen zu Trage tretende Verständnislosigkeit und Strenge der radikalen Jakobiner beim Umgang mit ihren Gegnern zeigt in nuce Parallelen zu der sich in Frankreich gerade anbahnenden Jakobinerdiktatur. Hier wie dort entfernte sich das Handeln vieler Revolutionäre immer mehr von ihren ursprünglichen Vorstellungen von Demokratie. Dieses Phänomen war im gewissen Sinn Ausdruck einer Belagerungsmentalität: Die Einkreisung durch den äußeren Feind rief um so schärfere Maßnahmen hervor gegen tatsächliche oder angebliche innere Gegner hervor. Etwa 1500 von ihnen wollten schließlich die Stadt freiwillig verlassen, um der Verfolgung durch die Jakobiner und den Gefahren des Bombardements zu entgehen. Die Deutschen nahmen sie jedoch nicht auf, um ihren Gegner durch die Verminderung der Zivilbevölkerung keinen Vorteil einzuräumen.

Die Auswanderungswilligen fanden sich damit in einer äußerst prekären Lage, denn die Franzosen waren zunächst nicht mehr gewillt sie zurückzulassen. Erst nach einem Tag erklärten sie sich hierzu bereit, so lange hatten die "Exportierten" unter freiem Himmel in lebensgefährlicher Situation campieren müssen.

Kapitulation und Rache der Sieger

Auszug der französischen Soldaten aus Mainz - hindurch durch preußische Soldaten. Im Vordergrund werden Klubisten "verhaftet".

Mit diesem Auswanderungsversuch endeten die "Exportationen" einen Monat vor der Kapitulation am 23. Juli. An diesem Tag übergab der französische General D'Oyre die Festung, noch bevor die Deutschen, auf deren Seite etwa 3000 Soldaten gefallen waren, eine Bresche hatten schießen und zum Sturm hatten ansetzen können. Auf diese Weise konnte D'Oyre für seine Armee, von der ca. 2000 Mann gefallen waren, freien Abzug aushandeln, so dass ihre Kampfkraft der französischen Republik nicht verloren ging, obwohl sie ein Jahr lang nicht gegen die Deutschen eingesetzt werden durften. Auch empfanden die Franzosen sich nicht als Besiegte, sondern zogen sehr selbstbewusst, die "Marseillaise" (Goethe: "das revolutionäre Tedeum") singend ab und erklärten stolz: "Wir kommen wieder!". Noch heute gilt in Frankreich der "siege de Mayence" von 1793 als ruhmreiche Episode der französischen Militärgeschichte. Das liegt unter anderem auch daran, dass durch die Belagerung der Festung Mainz große Truppenkontigente gebunden worden waren. D'Oyre war es aber nicht gelungen, für die Jakobiner verbindliche Sicherheitsklauseln zu erhalten. Die meisten wurden daher Opfer einer Lynchjustiz. In ihr entlud sich der Hass, der sich bei ihren Mitbürgern aufgrund der Massenausweisungen und der damit verbundenen Enteignungen angestaut hatte.

Die progromartigen Ausschreitungen, die mehrere Schwerverletzte forderten, wurden erst durch das Eingreifen des preußischen Kommandanten unterbunden. Die Jakobiner wurden in verschiedenen Gefängnissen inhaftiert und mussten, sofern sie nicht als Geiseln für nach Frankreich verschleppte Mainzer betrachtet wurden, mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen.

Allmählich nahmen die Behörden des Ancien Regime ihre arbeit wieder auf, doch etablierten sich Hof und Adel nicht mehr auf Dauer in der Stadt. Die bei der Belagerung zerstörten Gebäude kündigten damit das Ende des kurfürstlichen Mainz an.

Empfohlene Zitierweise

Stauder, Heiner: Die Belagerung der Festung Mainz 1793. In: festung-mainz.de [27.03.2005], URL: <http://www.festung-mainz.net/bibliothek/aufsaetze/festungsgeschichte/belagerung.html>
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Quellen

Kapitulation der französischen Truppen unter General d'Oyré in Mainz nach dreimonatiger Belagerung am 22. Juli 1793 [Lesen]

Weblink

Goethe: Die Belagerung von Mainz 1793
Johann Wolfgang von Goethe war 1793 bei der Belagerung selbst vor Ort. Von ihm besitzen wir daher heute eine äußerst informative Quelle.

Die Mainzer Republik 1792/93
Dr. Franz Dumont informiert auf seiner Website über den ersten Demokratieversuch auf deutschem Boden