Mainz als Festung des Deutschen Reiches 1870/71-1918
Als 1866 der deutsch-deutsche Krieg zwischen Österreich und Preußen beginnt, wird auf Antrag Bayerns die Bundesfestung Mainz für neutral erklärt. Die beiden Garnisonen ziehen aus und werden unter anderem durch bayrische und sächsische Truppen ersetzt. Zwar wird die Festung nochmals in die Kriegszustand versetzt, allerdings kommt es zu keinem Angriff der Preußen, die die nahe gelegenen Städte Wiesbaden und Frankfurt besetzten. Nach dem erfolgreichen Sieg bei Königsgraetz ziehen die Preußen wieder in Mainz ein. Damit wird Mainz für sechs Jahre eine Festung Preußens.
Die Situation in Mainz um 1870
Da das Feld vor der Festung (das Glacis) freies Schussfeld bieten musste, durften keine Gebäude außerhalb der Festungsmauern errichtet werden. Die Nachteile einer solchen Einzwängung machten sich dann besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bemerkbar, als die industrielle Entwicklung ein Bevölkerungswachstum auslöste. Die Mainzer Bürger mussten auf engstem Raum leben. In die Straßen und Gassen der Stadt fiel in der Mitte des 19. Jahrhunderts kaum ein Sonnenstrahl und die hygienischen Verhältnisse ließen zu wünschen übrig. Eine Statistik Alfred Börckels aus dem Jahre 1869 zeigt das Dilemma: die Zahl der Personen, die den Raum eines preußischen Morgens bewohnten, betrug in Potsdam 11, in Berlin 28, in Hamburg 65 und in Köln 71 - in Mainz jedoch waren es 89.
Darüber hinaus bestand die Mainzer Wirtschaft um 1870 vorwiegend aus kleineren und mittelständischen Betrieben, als andere, ähnlich wichtige Städte schon längst über Industrieanlagen verfügten. Grund dafür war, dass der Stadt Mainz keine größeren Flächen zur Verfügung standen, auf denen man Industrieanlagen hätte errichten können. Denn während die eigentliche zivile Stadtfläche etwa 1,2 km² groß war, beanspruchten die militärisch genutzten bzw. gesperrten Flächen rund 7 km²!
Der Rheingauwall um die Neustadt
Seit 1868 bemühten sich die Mainzer Kommunalpolitiker und Beamten um eine Stadterweiterung – allerdings vergebens. Erst nach dem deutsch-französischen Krieg wird sie möglich. Denn der deutsche Sieg über Frankreich 1870/71 brachte die heiß ersehnte Entlastung für Mainz: statt Mainz wurde nun das ehemals französische Metz in Lothringen Grenzfestung. Daher konnte nach schwierigen Verhandlungen 1872 ein Vertrag zwischen der Stadt Mainz und dem Festungsgouvernement geschlossen werden, der die Auflassung der nordwestlichen Gartenfeldfront ermöglichte. Dafür musste die Stadt aber die Errichtung eines neuen Walls, der die Neustadt umgeben sollte, mit 4 Millionen Gulden teuer bezahlen.
Um die gerade entstandene Neustadt wurde daher im gleichen Zuge der Rheingauwall errichtet. Er wurde in der neupreußischen Befestigungsmanier erbaut, was einen rechteckigen, ohne Bastionen versehenen Wall zur Folge hatte. Er bestand unter anderem aus den Kavalieren Prinz Holstein, Judensand, dem Fort Hartenberg, dem Gonsenheimer Tor und dem Mombacher Tor. Der Rheingauwall schloss über das nun als Kavalier dienende Fort Hauptstein an der Bastion Alexander an die "alte" Stadtbefestigung an und fand am neu errichteten Rheinfort, das die alte Inondationschanze ersetzte, seinen Endpunkt. Außerdem wurde das ebenfalls neu aufgeschüttete Rheinufer befestigt. Später wurde der Rheingauwall auch auf der Ingelheimer Aue und dem gegenüberliegenden Rheinufer mit einigen wenigen Forts und Verschanzungen fortgesetzt. Ziemlich genau auf der bisherigen Gartenfeldfront wurde die Kaiserstraße angelegt. In der Neustadt selbst fanden auch viele Kasernen - wie die Alicekaserne - und Magazinräume der Militärverwaltung Platz.
Abriss - aber Mainz bleibt Festung
Obgleich die Neustadt und die zuvor erfolgte Aufschüttung - und somit Erweiterung - des Rheinufers schon viel Platz schuf, fehlte es vor allem immer noch an Erholungsflächen. Am 18. März 1904 bestimmte der Kaiser dann endlich die Auflassung des erst dreißig Jahre alten Rheingauwalls; einhergehend wurden damit auch die Baubeschränkungen aufgehoben: der Weg zum Bau von weitläufigen Industrieanlagen war frei. Zugleich wurde die barocke Südwestfront, bestehend aus den Forts Karl, Elisabeth, Philipp, Joseph und Hauptstein, aufgelassen. Auf Teilen des Geländes vor dem Fort Josef entstand 1911-14 das städtische Krankenhaus (heute Uniklinik).
Obwohl weite Teile der Befestigung fielen, blieb Mainz auch weiterhin Festung: ein letzter Gürtel aus einzelnen Bunkern umgab die Stadt Mainz in einem Umkreis von 15 km. Er zog sich durch die rheinhessischen Ortschaften Heidesheim, Wackernheim, Ober-Olm, Nieder-Olm, Zornheim, Ebersheim und Gau- Bischofsheim und bestand aus vielen einzelnen Maschinengewehrständen, Artilleriebeobachtungsständen und Infanterieräumen. Insgesamt wurden bis 1915 an die 300 Bunker und Stützpunkte errichtet. Die einzelnen Militäranlagen wurden mit einer eigenen, kleinen Festungsbahn versorgt. Zu diesem letzten, äußersten Betonbunkerring gehörte auch der Stützpunkt "Auf der Muhl" bei Ebersheim.
So ausgebaut konnte Mainz den Vergleich mit Festungen wie Verdun wagen, wenngleich Mainz im Ersten Weltkrieg - glücklicherweise - eine Belagerung erspart blieb. Mit dem Versailler Vertrag von 1918 endet die Geschichte von Mainz als Festungsstadt, da die Festungsanlagen komplett zerstört werden mussten. [Weiter zum nächsten Kapitel]
Weiterfuehrende Hinweise
Aus der Reichsfestungszeit von Mainz sind heute noch das Gonsenheimer Tor und das Fort Biehler vor Mainz-Kastel in Teilen erhalten.
Literaturhinweis
Kläger, Michael: Die Mainzer Stadt- und Festungserweiterung. Kommunale Politik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mainz 1988 (Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz 28)
[Weitere Literatur]