Fragment einer Grabplatte auf der Zitadelle entdeckt
Ende Juni 2008 wurde im Rahmen von Baumaßnahmen im Bereich der Kasematten südlich des Kommandantenbaus (Bau A) das Fragment einer Grabplatte entdeckt. Die Platte aus rotem Sandstein (ca. 66 x 66 x 6 cm), die zur Abdeckung eines Lichtschachtes wieder verwendet worden war, konnte geborgen und wissenschaftlich untersucht werden.
Erhalten haben sich etwa zwei Drittel der rechten oberen Ecke einer großen Grabplatte mit Umschrift zwischen Linien. Im Mittelfeld des Grabsteins ist das flachreliefierte Gesicht eines barhäuptigen Mannes mit halblangen Haaren zu sehen, der mit einem kuttenartigen Gewand (vielleicht einem Kapuzenmantel) bekleidet ist und die Hände vor der Brust gefaltet hat. In den Ecken befinden sich zwei erhaben ausgeführte Wappen, wobei das heraldisch linke vollständig ist und das rechte nur noch einen kleinen Teil des Schildbogens aufweist.
Durch die in gotischen Minuskeln eingehauenen Reste der Inschrift kann das Todesdatum des Dargestellten auf 1407 datiert werden.
Auf Grund der erhaltenen Wappenkonstellation auf dem Grabstein (vermutlich zweimal das gleiche Wappen) ist davon auszugehen, dass der Verstorbene aus der Familie zum Weidenhof (de ampla curia) entstammt. Dieses zum alten Mainzer Patriziat zählende Geschlecht residierte in dem namensgebenden ehemals zwischen Renten- und Seilergasse gelegenen Hof Zum Weidenhof.
Da sich die signifikante Auswahl zweier gleicher Wappen an mehreren Grabplatten Mainzer Geistlicher des 14. und 15. Jahrhunderts nachweisen lässt, ist davon auszugehen, dass auf dem Fragment ein Geistlicher dargestellt ist. Auf Grund der fragmentarischen Erhaltung der Grabplatte können jedoch keine genaueren Aussagen zu seiner Funktion getroffen werden. Die noch ansatzweise erkennbare, nicht spezifisch ausgeprägte Bekleidung lässt jedoch nicht ausschließen, dass sich der Verstorbene vielleicht im Alter als Laienbruder in das Kloster zurückgezogen hat und dort begraben wurde. Es liegt nahe, den Dargestellten mit dem damals auf dem Areal der heutigen Zitadelle gelegenen Benediktiner-Klosters St. Jakob in Verbindung zu bringen. Da jedoch in Folge der Streitigkeiten um den Mainzer Erzbischofsstuhl 1329 das Jakobsbergkloster so stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, dass sehr lange Zeit ein geordnetes Klosterleben nicht mehr möglich war und das Kloster erst wieder in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu neuer Blüte gelangte, ist nicht auszuschließen, dass die Grabplatte des Herrn zum Weidenhof aus einer anderen Mainzer Kirche stammt und zu einer unbekannten Zeit als Baumaterial verwendet wurde.
Autor: Dr. Eberhard J. Nikitsch, Mitarbeiter der Inschriften-Kommission der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz
Nachricht vom 04.09.2008